Skip to main content

Newsletter Mai 2023

  • news

In dieser Ausgabe:

Wichtige Nachrichten
Öffentlich-Rechtliche mit Zukunftsrat – das wird nichts!
Journalisten und Weiterbildung – nicht optimal
Ukraine - Kein Zugang mehr zu "roten Zonen"
Bulgarien: Partei gegen Journalistin
"Die Zeit" versinkt im Propaganda-Nivau
Journalisten haben sich von der Bundesregierung bezahlen lassen
Ersetzen Roboter bald Journalisten? 

VEJ Rückblick
Rückschau European Resource Bank Porto

VEJ Aktuell

Gastkommentar
       von Dr. Uwe Brückner
Denk ich ans Fernsehen in der Nacht…

Termine 

Hammer des Quartals

       Von FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer
Auch im Fall Reichelt gibt es nicht nur Gut und Böse 

EDITORIAL
                
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitglieder,
der Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre hat gesagt: „Ein politisches System, das dem Untergang geweiht ist, tut instinktiv vieles, was diesen Untergang beschleunigt.“ Leider hat dieses Zitat eine aktuelle Brisanz bekommen, die jeden Tag mehr ins Bewusstsein der deutschen Bevölkerung tritt. Die Bundesregierung hält sich Journalisten als Jubeltruppe, die Bundesregierung möchte mit Hunderten von Millionen Euro die Zeitungsverlage auf Kurs bringen, die Bundesregierung zeichnet sich nicht durch Kompetenz, sondern durch Vetternwirtschaft und mangelnde Ausbildungs- sowie Berufserfahrungen aus. Und die Opposition? Die lässt es geschehen.
Die Medien haben ihre Stellung als vierte Gewalt im Staate abgegeben. Niemand kontrolliert die Politik, die rigoros und konsequent in unser Leben eingreift und Freiheiten beschneidet. Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, wird es zu spät sein. Aus diesem Grund wird der Mediendialog im Herbst dieses Jahres, die größte Veranstaltung der VEJ, auch einem Thema gewidmet sein, das damit eng verzahnt ist: „Missionare auf dem Kreuzzug – Journalisten als 5. Kolonne der Umerzieher?“.

Der Vorstand wünscht trotzdem Ihnen allen eine schöne Frühlingszeit mit angenehmen Temperaturen zum gemeinsamen Verweilen in netter Atmosphäre.

Herzlichst Ihr
Dr. Ralf Schneider
Präsident der VEJ

WICHTIGE NACHRICHTEN

                             Öffentlich-Rechtliche mit Zukunftsrat – das wird nichts!


Die Medienpolitikerinnen und Medienpolitiker der Bundesländer wollen sich künftig von einem Zukunftsrat in Sachen ARD und ZDF beraten lassen. Nun steht fest, wer in diesem Gremium sitzen wird. Doch daran gibt es bereits Kritik.

Nach vielen Diskussionen in den vergangenen Monaten steht nun fest, wie der Zukunftsrat der Rundfunkkommission der Bundesländer aussehen wird. Das achtköpfige Gremium soll die Politikerinnen und Politiker in Zukunftsfragen rund um ARD und ZDF beraten und Empfehlungen geben, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk aussehen sollte. Nachdem es unter den Bundesländern zuletzt Streit über die Besetzung gegeben hatte, steht diese nun fest.

Die acht dem Gremium angehörenden Personen sind der ehemalige SRG-Chef Roger de Weck, Filmproduzentin und ehemalige BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz, Urheberrechtsexpertin Nadine Klass, Ex-Bundesverfassungsrichter und Ex-Innenminister von Thüringen Peter M. Huber, Medienrechtler Mark D. Cole, Journalistin Maria Exner (ehemals "Zeit Magazin"), die frühere Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel und die Digitaljournalismus-Professorin Annika Sehl.

"Die Rundfunkkommission hat mit der Einsetzung eines Zukunftsrates ihren Reformwillen bekräftigt", sagt der nordrhein-westfälische Medienminister Nathanael Liminski (CDU) gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. "Sowohl Angebot als auch Strukturen kommen auf den Prüfstand. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss heute und morgen durch Produkt und Struktur überzeugen. Nur so hat ein pflichtfinanziertes System dauerhaft Akzeptanz. Der Zukunftsrat kann hierzu wegweisende Impulse setzen."

Doch an der Zusammensetzung des Gremiums gibt es auch schon Kritik. Die AGRA – Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse spricht in einem Brief an die Mitglieder der Rundfunkkommission von "großem Unverständnis" und einer "verpassten Chance". Man habe bis zuletzt  gehofft dass die Politik "uns als Programmmacherinnen und Programmmacher ebenfalls berücksichtigt". Die AGRA kritisiert, dass in dem Gremium vor allem Juristen, Wissenschaftler und Lobbyisten sitzen - und niemand aus dem "Maschinenraum" der Anstalten.

"Zudem erinnert uns der Besetzungsvorgang an die längst für überwunden gehaltene Zeit, in der Gremien vor allem auch nach parteipolitischen Gesichtspunkten besetzt wurden", so die AGRA in ihrem Brief. Tatsächlich sind vier der acht Personen von den SPD-geführten Ländern in das Gremium entsandt worden, die vier weiteren von den Unions-geführten Ländern. Die AGRA fordert nun eine Nachnominierung von Vertreterinnen und Vertretern der Redaktionsausschüsse.
Quelle: Medienmagazin DWDL.de
 

                            Journalisten und Weiterbildung – nicht optimal

Warum „lebenslanges Lernen für die Medienwelt von morgen“ für Journalisten als auch für Medienunternehmen alternativlos ist, legt Michaela Petek in einer empirischen Analyse der journalistischen Weiterbildung dar. Im Vergleich zum seit fünf Jahrzehnten gut untersuchten Bereich der journalistischen Ausbildung wird damit erstmals in der Journalismusforschung die Weiterbildung umfassend unter die Lupe genommen.


Einige Schlaglichter daraus: In Weiterbildung wird seitens der Medienunternehmen und der Journalisten selbst zu wenig investiert. Kosten müssen häufig von den Teilnehmenden selbst übernommen werden, deren Invest beträgt im Durchschnitt lediglich 100 Euro pro Jahr. Der gesetzliche Bildungsurlaub bleibt weitgehend ungenutzt; die Zertifizierungsquote von Bildungsarbeit ist gering, und öffentliche Förderung von Weiterbildung geht am Medienmarkt vorbei. Ziele der Unternehmen: Anpassung an neue Arbeitsbedingungen; Ziele der Teilnehmenden: bei Neuerungen beruflich am Ball bleiben. Gefragte Kompetenzen: Social Media und Technik. Ethische berufliche Standards oder Rollenverständnis als Themen sind nur noch bei Jüngeren von Interesse.

Quelle: IQ – Initiative Qualität im Journalismus

                                      Kein Zugang mehr zu "roten Zonen"

Neue Vorgaben der ukrainischen Militärführung erschweren Journalisten den Zugang zu bestimmten Frontgebieten. Die Armee führt Sicherheitsgründe an.

Fotojournalist Stas Kozliuk veröffentlicht regelmäßig, auch in der "New York Times". Immer wieder reist er dafür von Kiew aus direkt an die Front. Direkt von dort zu berichten war bislang ohne Probleme möglich. Auch hier unterschied sich die Ukraine stark von Russland, das westlichen Reportern keinen freien Zugang zur Front ermöglicht. Doch jetzt hat Kozliuk, wie alle Journalisten im Land, ein Problem. Denn die ukrainische Militärführung hat die Frontgebiete in Zonen aufgeteilt und sie mit Ampelfarben gekennzeichnet.


Zutrittsregelungen für "Zonen"In der "grünen Zone" können sich Journalistinnen und Journalisten nach wie vor frei bewegen. In "gelbe Zonen" kommen Journalisten nur in Begleitung von Presseoffizieren. Sie bestimmen auch darüber, welche Bereiche betreten werden dürfen und welche nicht. Gebiete, die in einer "roten Zone" liegen, sind für Berichterstatter komplett gesperrt - und das ist, wie Fotojournalist Kozliuk kritisiert, "fast die gesamte Frontlinie". Journalisten könnten nicht mehr dorthin, das sei zumindest zum jetzigen Zeitpunkt so. 

Keine transparenten Kriterien? Auch Roman Golovenko hält das für ein Problem. Er arbeitet für das "Institute of Mass Information" (IMI) in der Ukraine und sagt, das Land brauche einfach "professionelle journalistische Berichterstattung". Die sei aber faktisch nicht mehr möglich, da die Journalisten seit der Reform nicht mehr an der Frontlinie arbeiten könnten.  Hinzu komme, dass die Farben der Zonen und damit der Zugang für Medienschaffende jederzeit von der ukrainischen Militärführung geändert werden können. Die Kriterien dazu seien nicht transparent und wenig nachvollziehbar.Das habe mitunter schon unfreiwillig komische Züge, sagt Golovenko. So liege die Stadt Mykolajiw in der "gelben Zone", die nur in Begleitung betreten werden könne - als Privatperson könne man aber jederzeit dorthin fahren und Bier trinken. Wenn man aber auf die Idee komme, mit dem Barkeeper ein Interview zu führen, weil der aus einem Ort an der Frontlinie geflohen sei, brauche man wieder einen Pressesprecher.

Bohdan Senyk vom Generalstab der ukrainischen Streitkräfte versucht, das Vorgehen der Militärführung zu erklären. Er verweist auf die Kämpfe in den "roten Zonen", die Angriffe russischer Truppen und die Sicherheitslage. Grund für die Verbote sei, "dass die Arbeit der Journalisten die Kämpfe und die Sicherheit der Soldaten, der lokalen Bevölkerung und der Journalisten selbst negativ beeinflussen kann". Das würde insbesondere an der großen Anzahl von Medienschaffenden liegen, die in der Ukraine seien. Seit dem 24. Februar 2022 seien mehr als 15.000 Akkreditierungen für Medienschaffende aus etwa 70 Ländern ausgestellt worden. Noch nie habe es bei der Berichterstattung von Militäroperationen eine so große Anzahl akkreditierter Journalisten gegeben - ein "beispielloser Fall", meint Senyk, und betont, er sei den Medien dankbar für die objektive Berichterstattung über den Angriffskrieg.

Quelle: Tagesschau                      

                                             Bulgarien: Partei gegen Journalistin

Mit Beginn des ersten Sitzungstags des Parlaments im neuen Jahr, ist ein Instagram-Account von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas an den Start gegangen. Ziel ist es, vor allem jüngere Zielgruppen zu erreichen, die sich nicht mehr oder kaum noch über klassische Medien informieren.


Die bulgarische Partei Vazrazhdane erhebt schwere Vorwürfe gegen die bulgarische Journalistin Emilia Milcheva. Diese versucht herauszufinden, wie die Partei Unterschriften für ein Referendum sammelt, das die Mitgliedschaft des Landes in der Eurozone verhindern soll. Milcheva ist regelmäßig für da

s linke Portal EURACTIV tätig und arbeitet außerdem für die bulgarische Redaktion der Deutschen Welle sowie den TV-Sender TV1.

Auf einer eine Pressekonferenz über das Referendum sagte der Vorsitzende des Initiativkomitees und Sekretär von Vazrazhdane, Deyan Nikolov, die Initiative werde „von Provokateuren angegriffen.“ Damit meinte er wohl Milcheva, die eine Unterschriftensammelstelle besucht hatte und Fragen zu den Motiven der Euro-Gegner gestellt hatte. Nikolov warf Milcheva außerdem vor, persönliche Daten anderer Menschen fotografiert zu haben. „Es ging so weit, dass unser Team sofort die Polizei rief, um die Fotos vom Telefon der betreffenden Dame zu löschen und ihr eine Verwarnung auszustellen“, so Nikolov.


Deyan Nikolov von der Partei Vazrazhdane
Er erklärte, Milcheva sei eine PR-Agentin für die „Snitch Bulgaria Party“, wie die pro-russische Partei ihre pro-europäischen Rivalen vom Demokratischen Bulgarien nennt. Dies führte zu Anschuldigungen, die Journalistin sei in eine Parteiverschwörung gegen das Anti-Eurozonen-Referendum verwickelt.

Milcheva veröffentlichte ihren Text für die Deutsche Welle, in dem sie die Antwort von Vazrazhdane auf ihre Fragen erwähnte und beschrieb, wie die Polizei gerufen wurde. Sie selbst arbeitete 2017 vier Monate lang in der PR-Abteilung der Partei „Ja, Bulgarien“ und kehrte dann in den Journalismus zurück. „Niemand kann einem Journalisten verbieten, über öffentliche Prozesse zu berichten, wie etwa die Aktion zur Unterschriftensammlung für ein Referendum der Partei Vazrazhdane zur Verteidigung der bulgarischen Währung“, sagte Milcheva gegenüber EURACTIV.

Die Deutsche Welle erklärte, dass sie die Behauptungen von Vazrazhdane zurückweise und fest hinter ihrer langjährigen Autorin Emilia Milcheva stehe.

Quelle: Euractiv               

                                         Die Zeit versinkt im Propaganda-Nivau

Die «Zeit» ist eine Zeitung, die nach eigener Auskunft jede Woche «starken Journalismus» produziert.

Für viele Artikel stimmt das. Doch der Text, mit dem das Blatt aus Hamburg unlängst für den größten Wirbel sorgt, zählt nicht dazu. Der über zwei Zeitungsseiten gehende Bericht über private Textnachrichten des Axel-Springer-Chefs Mathias Döpfner ist ein abschreckendes Beispiel. Es illustriert, wie Journalisten durch einen Mangel an Distanz und Differenziertheit zum Spielball ihrer Informanten werden können. Das Ergebnis ist
 ein einseitiges «hit piece» über einen angeblich «allmächtigen Verleger».

Grundlage des knapp 30 000 Zeichen langen Textes sind, wie es heißt, «interne Dokumente aus dem Springer-Haus», die durch «Gespräche mit Insidern und Beteiligten» ergänzt worden seien. Was nach einer umsichtigen Recherche klingt, entpuppt sich beim Lesen als Einweg-Kommunikation: Man lernt allein den Wortlaut von Döpfners privaten Textnachrichten kennen: über die FDP, die frühere Kanzlerin, die Ostdeutschen und so weiter.
Die Zitate kennt inzwischen wohl das halbe Land, sie liefen sogar in der «Tagesschau». Sie sind genauso fehlerhaft, unfertig, hämisch, nervös, larmoyant und politisch unvorsichtig wie die privaten Nachrichten fast aller Menschen, von ein paar sehr korrekten Ausnahmen abgesehen. Und sie zeigen natürlich nicht, was die «Zeit» großspurig behauptet: «wie Springer-Chef Mathias Döpfner denkt». Dazu fehlt viel zu viel: der Austausch mit anderen Gesprächspartnern, Döpfners öffentliche Äußerungen, die teilweise im krassen Widerspruch zu den zitierten Schnipseln stehen. Vor allem fehlt der kritische Blick auf die Quelle dieser missglückten Geschichte.

Döpfner schreibt dieses, Döpfner schreibt jenes – aber was steht in den Nachrichten, die er selbst erhalten hat? Die «Zeit» schweigt dazu. Wer aber nur eine Seite eines Dialogs kennt, der kennt nur die halbe Wahrheit. Der Sinn einer Aussage, vor allem in der privaten Kommunikation, erschließt sich erst im Kontext. Was ist ernst gemeint, was ironisch? Wo schaukeln sich zwei im Gespräch gegenseitig hoch? Wo macht einer versteckte Anspielungen, die nur das Gegenüber versteht? Wo übertreiben beide, vielleicht aus purer Lust an der Übertreibung?

Und: Ist derjenige, dessen Nachrichten die «Zeit»-Leser im Original kennenlernen, wirklich derjenige, der, wie behauptet wird, immerzu den Ton angibt? Nicht immer sind Verleger im Journalismus die tonangebenden Figuren. Es gibt auch sehr mächtige lohnabhängig Beschäftigte. Der Schweizer Publizist Frank A. Meyer ist ein Beispiel. Der deutsche Boulevardjournalist Julian Reichelt war ein zweites. Der frühere «Bild»-Chefredaktor gilt als durchsetzungsstarker und gewiefter Stratege. Sein Name ist der Einzige, der in der «Zeit» als Empfänger von Döpfners Nachrichten genannt wird.

Ist Reichelt die Hauptquelle des Artikels? Der Verdacht liegt nahe. Die «Zeit» schweigt dazu, was ihr gutes Recht ist. Doch der Quellenschutz rechtfertigt keine naive Berichterstattung. Er entbindet Journalisten nicht von der Pflicht, kritische Distanz zur Quelle zu wahren und eigene Wissenslücken zu benennen.

Die «Zeit» tut in diesem Fall weder das eine noch das andere. In ihrer Darstellung ist Döpfner einer, der mit Europas größtem Boulevardblatt «Politik machte», der «Manifeste» verschickte und der Journalisten, allen voran seinem früheren Chefredaktor Reichelt, knallharte Anweisungen gab. Dem Geschassten, der Springer heute mit seinem eigenen, zusehends erfolgreichen Boulevard-Startup zusetzt, dürfte diese Darstellung ausgesprochen gut gefallen.

Dass die Wahrheit bei Springer komplizierter sein könnte, dass der CEO Döpfner, der mal in die Ukraine einmarschieren und mal kritische Berichte über die Trans-Lobby untersagen will, manche seiner vielen Überzeugungen, etwa zur Corona-Politik der früheren Bundesregierung, auch von seinem früheren Chefredaktor übernommen haben könnte und nicht umgekehrt, blenden die «Zeit»-Journalisten aus. In einer bereits vor eineinhalb Jahren veröffentlichten SMS soll Döpfner Reichelt einmal als «letzten und einzigen Journalisten in Deutschland» gelobt haben, der noch «gegen den neuen DDR Obrigkeits-Staat» aufbegehre. Das klang mehr nach Bewunderer als nach Befehlsgeber.

Wie einseitig die «Zeit» über Döpfner berichtet, fällt auch auf, wenn man sich anschaut, was ihre Autoren nicht für problematisch halten, etwa eine Nachricht der Gesellschafterin Friede Springer an den früheren «Bild»-Chefredaktor. Darin bittet diese den «lieben Julian», der «erfahrenen Bundeskanzlerin» Angela Merkel beim Umgang mit der Corona-Pandemie zu «helfen».

Ist das, also die Aufforderung, sich der Regierung als publizistische Schützenhilfe anzudienen, nicht viel problematischer als ein Verleger, der sich privat kritisch über den Mainstream und die Eliten des Landes äußert und Merkel für eine Fehlbesetzung hielt? Für die «Zeit» offenbar nicht. Aus Döpfners Kritik macht sie «Abscheu» und dichtet ihm an anderer Stelle eine «weit rechte» Gesinnung an – weil er angeblich lieber einen mit AfD-Stimmen (aber ohne eine AfD-Regierungsbeteiligung) gewählten FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen gesehen hätte als einen Regierungschef vom linken Rand.

Die Wochenzeitung aus Hamburg, die nach eigenen Angaben «starken Journalismus» macht, hat selten so schwach ausgesehen.
Quelle: NZZ    
                  

                       Journalisten haben sich für Moderationen von der Bundesregierung bezahlen lassen. Auch der bekannte ZDF-Journalist Johannes B. Kerner ist darunter.

Auf einer 30 Seiten langen Liste, veröffentlicht die Bundesregierung, nach einer Anfrage der AfD-Fraktion wer für welche Dienstleistung wie viel Geld von der Bundesregierung gezahlt bekam. Mal geht es um die Redigatur von Texten, mal um Moderationen. t-online enthüllte zum Teil, wer sich hinter den Nummern 1 bis 200 verbirgt. Warum könnte das Engagement für die Regierung noch problematisch werden? Ein Überblick.

Unter den Journalisten finden sich diverse prominente Namen. Besonders ragt unter anderem "Journalist 97" heraus: Gemeint ist die ehemalige "Tagesschau"- und heutige ProSieben-Moderatorin Linda Zervakis. Zervakis ist besonders prominent – und hat offenbar besonders gut verdient: Sie soll vom Kanzleramt 12.044 Euro erhalten haben für zwei Gespräche, die sie moderierte.

Auch die "Tagesschau"-Moderatorin Judith Rakers hat Medienberichten zufolge mehrfach Honorare von der Bundesregierung erhalten. Mal sollen es etwas über 4.000 Euro für das Arbeitsministerium von Hubertus Heil gewesen sein, ein anderes Mal knapp 6.000 Euro für das Wirtschaftsministerium.

Hinter einer der Nummern soll sich auch der ZDF-Moderator Johannes B. Kerner verbergen: Er soll t-online-Informationen zufolge mit "Journalist 114" ist gemeint sein. Kerner hat im September 2018 und 2019 das Musikfest der Bundeswehr moderiert. Sein Honorar belief sich jeweils aber wohl nur auf einen dreistelligen Eurobetrag. Im Detail lassen sich die Summen nicht rekonstruieren, weil die Bundesregierung sie gesammelt ausweist.

Hinzu kommen noch die Namen von weniger prominenten Journalisten. Unter anderem sollen auch Monika Jones (Deutsche Welle), Anja Heyde (ZDF) und Andrea Thilo, die lange als Redakteurin für öffentlich-rechtliche Formate arbeitete, für Ministerien tätig gewesen sein. Etliche andere Namen wurden noch nicht enthüllt. 

Insgesamt haben das Kanzleramt, die Bundesministerien und ihre Bundesbehörden der Liste zufolge in den vergangenen fünf Jahren fast 1,5 Millionen Euro für journalistische Aufträge ausgegeben. Mit rund 875.000 Euro floss der Großteil an Journalisten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. An Mitarbeiter privater Medien gingen rund 597.000 Euro. Das Geld erhielten die Journalisten demnach vor allem für Moderationen, aber auch etwa für Lehrgänge.

Das meiste Geld haben mit einigem Abstand das Landwirtschaftsministerium mit 303.100 Euro und das Bildungsministerium mit 295.000 Euro ausgegeben. Das Wirtschaftsministerium zahlte insgesamt 199.100 Euro an Journalisten. Über 100.000 Euro gaben das Arbeitsministerium, das Umweltministerium und das Verkehrsministerium aus. Am wenigsten kaufte sich der Liste zufolge das Gesundheitsministerium ein: Dort sind nur 3.300 Euro vermerkt.

Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands und CDU-Mitglied, ist anscheinend überzeugt, dass Journalisten besonders gut dafür geeignet sind. "Die Kolleginnen und Kollegen sind dafür ausgebildet. Vielleicht ist es sogar besser, wenn ein Journalist oder eine Journalistin moderiert als ein Beamter aus dem Ministerium." Problematisch wird es, wenn der Journalist "zu einem Mikrofonhalter" wird, sagt Überall t-online. "Man muss sich gut auf solche Veranstaltungen vorbereiten und dann auch kritische Fragen stellen", sonst werde man seiner Rolle nicht gerecht.

Das Honorar ist auch ein entscheidender Faktor, wie ein Auftrag eines Ministeriums an einen Journalisten zu bewerten ist. Es darf laut Überall nicht zu niedrig sein, denn "das ist richtig Arbeit, sich vernünftig vorzubereiten". Wenn es aber zu hoch ist, dann bekomme das Ganze den Anschein eines "Dankeschön-Honorars". Allein schon dieser Anschein müsse vermieden werden.

 Dazu sei es auch nötig, sagt Überall, dass Transparenz geschaffen werde, zum einen gegenüber dem Sender, für den man frei arbeite, im besten Falle aber auch gegenüber den Kollegen. Dann könne sich jeder sein eigenes Bild machen. Im Fall Zervakis sei das nicht gut gelaufen. "Gegen eine Veröffentlichung des Honorars juristisch vorzugehen, ist ein Einfallstor für Kritik", sagt Frank Überall.

Quelle: t-online


                   Ersetzen Roboter bald Journalisten? Wie der Einsatz von Programmen wie ChatGPT sich auswirken könnte, weiß Datenjournalist Steffen Kühne vom Bayerischen Rundfunk.


Eigenständig agierende algorithmische Entscheidungssysteme (ADM-Systeme) können mittlerweile Musik komponieren, Artikel schreiben oder Radioprogramme mitgestalten – welche Rolle spielen sie für Medien? 

Auf alle Fälle sollte man zwischen algorithmischen Entscheidungssystemen und generativer KI unterscheiden. Entscheidend ist, wie diese Systeme eingesetzt werden. Bildgenerierende Algorithmen oder auch Machine-Learning-Modelle, die Musik, Bilder und Text generieren, agieren weder selbstständig noch besitzen sie ein Verständnis von der Welt. Vielmehr geht es darum, statistische Durchschnittswerte aus einer Vielzahl von vorhandenen Bildern oder anderen Inhalten zu bilden. Diese Systeme lassen sich in der Medienindustrie sinnvoll einsetzen. Die Themenrecherche und andere Entscheidungen von Relevanz sollten jedoch in Menschenhand bleiben.

Wie lassen sich ADM-Systeme von KI unterscheiden?

Eine klare Abgrenzung ist schwierig. ADM-Systeme sind alle Systeme, die automatisiert bestimmte Entscheidungen treffen, KI spielt dabei nicht immer eine Rolle. Der Schufa-Score, beispielsweise, wird aus Merkmalen wie der Zahl der Bankkonten, ausstehenden oder fälligen Krediten berechnet und kann darüber entscheiden, ob eine Person einen Artikel auf Rechnung bestellen darf oder nicht. Solche algorithmischen Entscheidungssysteme können KI-basiert sein, müssen es aber nicht. Momentan gibt es wenige Beispiele für ADM-Systeme, die komplett KI-getrieben sind.

Bei Chat-GPT oder vergleichbaren KI-Systemen geht es hingegen nicht darum, automatisierte Entscheidungen zu treffen, sondern basierend auf der Eingabe eines Benutzers Texte oder Bilder zu erzeugen.

Chat-GPT arbeitet mit 175 Milliarden Parametern, bei der Nachfolgetechnologie GPT-4 sollen es 100 Billionen Parameter sein. Wie funktioniert das technische Prinzip?

KI-Modelle werden häufig mit sehr vielen Daten gefüttert. Diesen Vorgang bezeichnet man als Training. Als Basis für große Sprachmodelle wie GPT-4 dienen Bücher, Webseiten, Artikel oder andere Texte aus dem Internet. Neben Texten werden, je nach KI-Modell, auch Bilder oder Musikstücke verwendet. Sowohl der hohe Trainingsaufwand als auch die für den Betrieb notwendige Rechenleistungen machen viele KI-Technologien momentan noch sehr teuer. Für die meisten Nutzer bleibt Chat-GPT nach bester Silicon-Valley-Manier erst einmal kostenfrei, um möglichst viele Nutzer zu gewinnen. Erst in den nächsten Jahren wird sich zeigen, für welche Bereiche sehr große KI-Modelle ökonomisch sind.

Sie arbeiten im AI + Automation Lab des Bayerischen Rundfunks (BR) in München und beschäftigen sich mit der Automatisierung von journalistischen Inhalten. Wo kommt künstliche Intelligenz beim Bayerischen Rundfunk zum Einsatz?

Die Begriffe KI und Automatisierung werden oft synonym verwendet. Wenn wir speziell über KI reden, gibt es beim BR viele Anwendungsbereiche. Erstens setzen wir KI-Systeme für Mediensysteme und Archive ein. Bild- und Tonmaterial, das beim Bayerischen Rundfunk entstanden ist, wird nachträglich verschlagwortet und Bild- und Videoinhalte in den Archiven werden zugänglicher gemacht. Zweitens verwenden wir KI für Textzusammenfassungen als Unterstützungswerkzeug für Journalisten. Drittens ist KI bei der Transkription hilfreich: Wenn Mitarbeiter ein Interview führen oder mit der Kamera drehen, können Bild- und Tonmaterial automatisiert als Texte generiert werden. Solche Texte dienen als Grundlage für den Schnitt eines Beitrags oder für das Verfassen eines Artikels.

Darüber hinaus gibt es beim BR das Forschungsprojekt „Oachkatzl“, das bayerische Wort für Eichhörnchen. Gemeinsam mit einem Dienstleister entwickeln wir ein Sprachmodell für die bayerische Sprache, da Dialekte von großen Dienstleistern vernachlässigt werden. In der Zukunft wird es vermutlich sehr schwierig sein, den Einsatz von KI überhaupt nachvollziehen zu können, da sich KI-Systeme in allen Bereich finden lassen werden, wo Software zum Einsatz kommt.


Welche neuen Dimensionen eröffnen Sprachmodelle wie Chat-GPT oder die deutsche Alternative Luminous für journalistische Inhalte?

Die Chancen sind nahezu unbegrenzt. Beispielsweise kann KI Texte in verschiedene Formate umwandeln. Wenn man von einer Agenturmeldung ausgeht, lässt sich diese automatisiert an den Duktus des eigenen Blattes anpassen. Darüber hinaus eignen sich große Sprachmodelle, wie sie auch bei Chat-GPT zum Einsatz kommen, perfekt für Zusammenfassungen. Auch kreative Aufgaben sind möglich: Wenn ein Journalist über ein bestimmtes Thema schreiben möchte, kann er sich bestimmte Fragen für den Interviewpartner erstellen lassen. Obwohl KI in diesem Bereich funktioniert, fehlen meist die spannenden und außergewöhnlichen Aspekte. Beispielsweise würde KI beim Thema „Agrarsubventionen“ nur die „Nullachtfünfzehn“-Fragen ausspucken und weniger die Fragen, die ein Journalist stellen würde, der sich seit Jahren intensiv mit der Thematik beschäftigt. Investigative Recherchen werden eine Domäne von Journalisten bleiben, dafür ist KI weniger geeignet.

Kann man von Chat-GPT generierte Inhalte erkennen?

Nein, Mediennutzer erkennen wahrscheinlich nicht, ob ein Text von einem Menschen geschrieben oder von einer KI verfasst wurde. Nachrichtenmeldungen, Sport- oder Börsenberichte sind perfekt für den KI-Einsatz. Dagegen eignen sich Chat-GPT oder ähnliche Systeme nicht für größere Stücke wie investigative Recherchen, bei denen fundiertes Hintergrundwissen oder eine kritische Einordnung erforderlich ist.

Generell ist eine Kennzeichnungspflicht für automatisch generierte Inhalte unabdingbar. Tatsächlich werden beim Bayerischen Rundfunk alle automatisiert entstandenen Inhalte kenntlich gemacht. Einzelne Artikel zu Corona, Basketballspielen oder Börsenberichten haben wir bereits automatisiert, was der Nutzer jedoch klar erkennen kann.

Wenn man von KI und von Journalisten erstellte Medieninhalte vergleicht – stellen Sie einen Qualitätsunterschied fest?

Der Umgang mit Quellen ist bei den meisten mir bekannten KI-Systeme mangelhaft. Chat-GPT erfindet Quellen, die nicht existieren – ein No-Go für den Einsatz im journalistischen Bereich. Außerdem ist häufig nicht transparent, mit welchen Quellen ein KI-System trainiert wurde. Von KI erstellte Inhalte müssen deswegen sorgfältig gegenprüft werden. Chat-GPT eignet sich für einfache Dinge, vergleichbar mit dem Lesen eines Wikipedia-Artikels.

Bei komplexen Anwendungsfällen hängt das Ergebnis stark von der Textgattung ab: Bei der Berichterstattung über Sport, Wetter, Verkehr oder Polizeimeldungen lässt sich kaum unterscheiden, ob ein Text vom Menschen oder von der Maschine stammt. Dagegen werden qualitative Unterschiede bei längeren Textformen oder Analysen deutlich. Bei der Textform Glosse bin ich mir unsicher. Manche Glossen von Journalisten sind so wild formuliert, dass sie auch von einem KI-System stammen könnten, das nicht gut funktioniert (lacht).

Werden KI-Systeme bald Journalisten ersetzen?

Das ist schwer zu sagen. Redaktionen müssen extrem sparen, da Werbeeinnahmen wegbrechen und immer weniger Leute Printzeitungen kaufen. Redaktionen sollten sich genau überlegen, wo sie in ihrem redaktionellen Prozess KI sinnvoll einsetzen können. Im Idealfall passiert das weder bei Recherche noch Textproduktion, sondern bei den zahlreichen, täglichen Routinen von Journalisten. Beispielsweise bei der automatisierten Transkription von Interviews oder bei der Auswertung riesiger Datenmengen wie bei den „Panama Papers“.

Und die Risiken?

Gefährlich ist, wenn Menschen Text- oder Bildgeneratoren für Themenbereiche einsetzen, von denen sie keine Ahnung haben. Automatisierte Systeme können ziemlichen Unsinn ausspucken. Wer Chat-GPT einsetzt, sollte für das Thema kompetent sein, um Fehler zu erkennen und zu korrigieren. In der aktuellen Medienproduktion, mit dem immensen Druck in vielen Bereichen, könnte genau diese Zeit fehlen, um einen von KI generierten Text zu prüfen und Fehler zu korrigieren. Publizierte Fehler und Ungenauigkeiten können dem Ansehen von Medienmarken schaden. Schon heute gibt es viele Anbieter von fragwürdigen Online-Inhalten, die täglich Falschinformationen verbreiten, aber immer noch von Menschen geschrieben sind. Gerade im Bereich der Desinformation und Propaganda kann es sich für die Anbieter schnell lohnen, Inhalte überwiegend mit KI zu erzeugen.

Der Deutsche Ethikrat fordert klare Regel und eine strikte Begrenzung für den Einsatz künstlicher Intelligenz für die Bereiche Medizin, Schule, öffentliche Kommunikation und Meinungsbildung sowie öffentliche Verwaltung. Wie wird sich die Bedeutung von KI für den Journalismus entwickeln?

Ein verantwortungsvoller Umgang mit KI muss das oberste Gebot sein. Die aktuelle KI-Revolution erlaubt eine viel breitere Debatte als noch vor ein paar Jahrzehnten, als KI fast abgeschrieben war. Die Diskussion darf nicht nur auf KI fokussieren, sondern muss auch Software- und ADM-Systeme mitberücksichtigen, da algorithmische Systeme heute schon Entscheidungen treffen, die unser Leben in irgendeiner Form betreffen. Für die Nutzer dieser Technologie, wie auch der Bayerische Rundfunk, ist es wichtig, die Sorgen und Nöte seiner Mitarbeiter mit dieser Technologie ernst zu nehmen. Das heißt nicht, KI für bestimmte Bereiche komplett auszuschließen. Solche Ausschlusskriterien würden ganz schnell von der Realität eingeholt werden.

KI gehört zur Realität, und es gibt kein Zurück mehr. Aber KI muss sinnvoll eingesetzt und es müssen Anwendungsgebiete definiert werden, für die sie ungeeignet ist. Statt Verboten ist eine kritische Selbstreflexion gefragt.

Quelle: Die Rheinpfalz

           

VEJ RÜCKBLICK
            Rückschau European Resource Bank Porto                                                                               

Die European Resource Bank Meeting in Porto (Portugal) fand mit starker Beteiligung des VEJ statt. Sowohl unter den Teilnehmern als auch unter den Referenten fanden sich diverse Mitglieder unserer Vereinigung. Die Konferenz beschäftigte sich mit der Schaffung einer besseren und nachhaltigen Zukunft für uns alle durch Marktlösungen, weniger Bürokratie und bessere Regulierung. Gerade in Europa greifen immer mehr Regulierungen um sich, die von vielen als fragwürdig eingestuft werden. Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle, um auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Die Veranstaltung wurde zu einem Treffen führender marktorientierter Personen und Organisationen aus Deutschland, Österreich, Schweden, Spanien, USA und natürlich Portugal.

Als Themen wurden insbesondere behandelt: Steuerverschwendung in Europa, die Rolle und der Einfluss von sog. „Gutmenschen“ in den Medien, die Märkte in Europa nach der Covid-Pandemie, Beeinflussungsstrategien der Verbraucher durch Lebensmittel-Kennzeichnung und die Herausforderungen durch zahlbare Krankenversicherung und Altersversorgung.


Das Netzwerken und der Erfahrungsaustausch fand auf hohem Niveau statt. Die VEJ zeigte durch das Engagement ihrer Vertreter einmal mehr ihren europäischen Anspruch und begleitete fundiert die Workshops und Diskussionen aus journalistischer Sicht.

VEJ AKTUELL

Presseclub in München
Die bewährte Zusammenarbeit mit dem Presseclub in München setzen wir auch dieses Jahr fort. Am Mittwoch, den 17. Mai findet um 11:00 Uhr ein Pressegespräch unter dem Titel: "Was Forscher lernen sollten – Gründe für die Verweigerungshaltung der Bevölkerung gegenüber Experten" statt. Danach bleibt bei einem kleinen Imbiss Zeit für den persönlichen Austausch.

Im Laufe der letzten Jahre musste man erkennen, dass sich die Kommunikation über Wissenschaftsfragen in der Bevölkerung emotionalisiert hat und die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und Forschung schwindet.  So fordert der Corona- Expertenrat der Bundesregierung die Etablierung einer besseren Kommunikationsstrategie, um die größte Schwäche des Pandemieverlaufs, nämlich die Kommunikation, auszumerzen.

Es existiert ein starkes Interesse vieler Bürger an aktiver Beteiligung an Wissenschaft, andererseits gibt es aber auch zunehmend Abschottungstendenzen gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen. Welche Schuld haben die Medien daran?

Hat Forschung zunehmend ein Problem mit der Akzeptanz in der Gesellschaft? Bei Forschung mit Tierversuchen, mit Stammzellen, mit hochpathogenen Erregern schlägt Wissenschaftlern oft der blanke Hass engagierter Bürger entgegen. Bei den Themen Klima, Ernährung, Atomkraft schwindet die Reputation der Wissenschaft rapide.

Gerade musste auch die Bundesregierung bei einer aktuellen Abgeordnetenanfrage einräumen, dass man auf mögliche künftige Pandemien in puncto Risikokommunikation besser vorbereitet sein will. Und dass obwohl viele Kritiker den bedingungslosen Verlautbarungsjournalismus der deutschen Leitmedien geißeln. Die Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte wird von Teilen der Politik nicht ernsthaft betrieben, sondern offensichtlich nur dazu benutzt den eigenen Vorteil in den Medien zu suchen.

Es diskutieren vor Ort und per Videostream:

Dr. Christina Beck, Leiterin Abteilung Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft

Robert Brannekämper MdL, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst des Bayerischen Landtags

Gunther Schnatmann, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Forschungskommunikation

Prof. Markus Kaiser, Professor für Praktischen Journalismus an der Technischen Hochschule Nürnberg

Moderation: Michael Jäger, Generalsekretär der Vereinigung Europäischer Journalisten

Anmeldung bitte bis 12.05. bei E:Mail:

Livestreaming: Die Veranstaltung kann auf dem YouTube-Kanal des PresseClub München e. V. (Website:) live mitverfolgt werden und ist im Anschluss dort weiterhin abrufbar.

 

GASTKOMMENTAR

Denk ich ans Fernsehen in der Nacht…

                 von Dr. Uwe Brückner, Vorstandsmitglied Deutsche Akademie für Fernsehen                                   

Die überfällige Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschäftigt Aufsichtsgremien, wissenschaftliche Beiräte, Staatskanzleien, neuerdings auch Gerichte, und sogar die BILD-Zeitung. Allerdings ohne erkennbare Signale. Die schnelle Berufung eines achtköpfigen „Zukunftsrates“, der die Geschicke von ARD und ZDF nun in eine weitere Periode segeln soll, gilt als jüngstes Armutszeugnis der Medienpolitik. Damit geben sich insbesondere die Medienmacher und Sendermitarbeiter nicht mehr zufrieden. Schließlich geht es auch um deren Existenz:

Misswirtschaft, Verflachung der Programme, Endlos-Serien statt Innovation und Vielfalt. Die öffentlich-rechtliche Krake hat nicht nur das Zuseherinteresse eingeschläfert, sondern auch noch die deutsche Medienwirtschaft in den Ruin getrieben: Immer weniger Aufträge werden an freie Produktionen vergeben. Immer mehr Sendeminuten und Formate produzieren Sendertöchter, wie die Degeto selbst. Und die freien Produktionsfirmen kämpfen ums Überleben. Die Fernsehprofis „Wir sind das Fernsehen“, die sich in den 22 Sektionen der „Deutschen Akademie für Fernsehen“ / DAfF versammeln haben nun einen umfangreichen Reformvorschlag in die Diskussion gebracht. Tenor: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist unverzichtbar. Aber nicht so!“

Propagiert wird ein ständiger „Medienkonvent“, als Real-Labor und als kenntnisreicher, föderaler Begleiter von Programm- und Struktur-Prozessen der Öffentlich-rechtlichen. Bürgernah und in jedem Fall staatsfern. Schon jetzt kursieren die Reformvorschläge der DafF in den Staatskanzleien und Medienreferaten. Ein weiterer Baustein ist die unverzichtbare „Räte-Akademie“. Die Aufsichtsgremien sind alles andere als politisch unabhängig:  Mit über 30 Prozent sind Vertreter der Politik die stärkste Gruppe in den Aufsichtsgremien. Und die Mehrheitsparteien schätzen die engen Verhältnisse zu „Ihren“ Sendern. Das verfassungsgemäße Gebot der Staatsferne wird auch in den Rundfunkräten nicht eingelöst.

Diese verstehen sich eher als Edel-Lobbyisten, statt als hinterfragende und kenntnisgreifende Bürgervertretung mit Kontrollauftrag. Die Räte-Akademie versorgt die Aufsicht mit Fakten, insbesondere schafft sie einen Überblick zu Effizienz und ermöglicht einen Wettbewerb, ein Benchmarking der Sender untereinander. Was kostet eigentlich die Sendeminute? Warum wird in anderen Anstalten günstiger produziert? Anteil der Buchhaltung pro Euro/Budget? Wie verhalten sich die Minutenanteile einzelner Programm-Genres im Verlauf der Jahre? Warum sinkt seit Jahren der Anteil an teuren Informationsminuten zu Gunsten steigender Wiederholungen und billiger Talks?

Unerlässlich ist in jedem Fall der Beginn einer öffentlichen Qualitätsdebatte. Es fehlen bis heute valide Qualitäts-Kriterien, die den Anspruch der Zuseher einfordern und vergleichbar machen. Schon im berühmt-berüchtigten „Weihnachtsgutachten 2014“ des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums wurde das Fehlen jeglicher Qualitätsstandards gerügt.

Der machtlose Blick auf das System von ARD und ZDF hinterlässt bei vielen den Eindruck einer „Black Box“: Intransparent und radikal subsidiär. Auch gegenüber dem Zuseher. Da könnte man doch erwarten, dass in einem solchen geschützten Paradiesgarten der Rundfunklandschaft bunte Innovationen, ja sogar ideenreiche Wasserfälle den Nutzer erfrischen oder freche Fernseh-Faune zum Schmunzeln anregen?  Nichts davon ist der Fall. Das deutsche Gebühren-Fernsehen zeichnet sich durch zahllose Tatort-Leichen, durch ein Diktat des Profi-Sports und endlose Quiz-Quälereien bis zum Sendeschluss aus. Experimente? Innovationen? Fehlanzeige!

Gefragt nach den Ursachen, raunte mir ein Redaktionsleiter des BR schon vor Jahren zu: „Es ist das Risiko! Das Einzige, wovor „die da oben Angst haben“ ist das Risiko!“

Das Reformpapier der Deutschen Akademie für Fernsehen kann da Abhilfe schaffen. Ein „Medieninnovations-Fonds“ lagert das Risiko aus. Für nur etwa 2% der Beitragssumme kann eine unabhängige Jury neue und experimentelle Formate ausschreiben und redaktionsunabhängig beauftragen. Zwei Prozent klingt wenig, kann aber viel bewirken. Immerhin realisierten in 2019 private TV-Produzenten mit nur 1,7 Prozent des ARD-Gesamtbudgets für Reportagen und Dokumentationen einen Programmanteil von 17 (!) Prozent. Ein solcher „Innovations-Fonds“ ist nicht neu, er wurde ebenfalls schon in der „Weihnachtspost“ des Bundesfinanzministeriums 2014 dringend angemahnt. Das Fernsehpublikum in Neuseeland erfrischt sich durch die Angebote des sogenannten „Art Councils“ seit Jahren schon hervorragend. Auch die BBC zeigt hohes Interesse an einem „Public Broadcasting System“: Ausschreibungen für neue Programme und deren Vergabe durch eine qualitätsbewusste, aber risikofreudigen Jury.

 

TERMINE

Freitag, 30. Juni 2023 10:00 - 17:00

Auf der Suche nach der Wahrheit – Wir und der Journalismus
Sonderausstellung im Kulturmuseum St. Gallen

Der Journalismus und die öffentlichen Debatten, die er ermöglicht und befeuert, sind essentiell für unsere Meinungsbildung und die Demokratie. Wie informieren wir uns? Wie gehen wir mit Informationen um? Und wie arbeiten Medienschaffende? Die Ausstellung bietet Gelegenheit, sich auf vielfältige Weise mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und die eigene Medienkompetenz zu verbessern.

Die zweisprachige Ausstellung (d/f) ist partizipativ. Das heißt, die Besucher selbst sind gefordert! Sie können mitspielen, Punkte sammeln und erhalten am Schluss einen Presseausweis. Das Herzstück der Ausstellung ist der Newsroom, der zu einer journalistischen Recherche einlädt. Das Spiel orientiert sich an den Escape-Rooms. Der Inhalt basiert auf einer tatsächlichen journalistischen Geschichte, die veröffentlicht wurde. Diese Erfahrungen werden in der Ausstellung vertieft. Einerseits durch Filme, in denen Medienschaffende von ihren Erfahrungen erzählen und die Herausforderungen und den Reiz ihres Berufs reflektieren. Anderseits durch Spiele.

Im Medienquiz und den Burger Games können die Besucher ihre Medienkompetenz testen. In der Infothek wird auf spielerische Weise Wissenswertes über die Medien und ihre Nutzung vermittelt. Eine historische Perspektive eröffnet die Station Medien und Gesellschaft. Hier werden 10 Ereignisse aufgegriffen, die den politischen und medialen Diskurs in der Schweiz in den letzten 60 Jahren geprägt haben. Die Reihe beginnt mit der Abstimmung über das Frauenstimmrecht 1959 und endet mit dem Ukraine-Krieg.

Realisiert wurde die Wanderausstellung vom Verein Journalistory. Sie startet in St. Gallen und ist bis 2026 auf Tournee durch die Schweiz.

Kulturmuseum St.Gallen Museumstrasse 50, CH-9000 St.Gallen

+41 (0)71 242 06 42, E:Mail: Anmeldung

Deutscher Druck- und Medientag 2023

Am 14./15. Juni 2023 findet das zentrale Treffen der Branche, der Deutsche Druck- und Medientag, in Berlin-Köpenick statt. Freuen Sie sich auf interessante Vorträge, spannende Diskussionen, gute Unterhaltung sowie beste Möglichkeiten zum entspannten Netzwerken!

Die Tagung, das traditionelle Unternehmensforum, findet im Pentahotel Berlin-Köpenick direkt am Wasser statt. Anschließend laden wir zur Abendveranstaltung beim Bundesligisten Union Berlin ein.

Programm-Highlights:

Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für die Druck- und Medienwirtschaft. Was ist – was kommt? Dr. Paul Albert Deimel (Hauptgeschäftsführer des bvdm)

„Ungeahnten Herausforderungen begegnen“, Christian Lindner, Christian Lindner MdB – Bundesminister der Finanzen, Bundesvorsitzender der Freien Demokratischen Partei. (angefragt)

Marktchancen und Herausforderungen für die Branche in Zukunft, Jens Meyer (printxmedia GmbH)

Podiumsdiskussion „Herausforderungen annehmen und erfolgreich meistern“

Abend der Deutschen Druck- und Medienindustrie

Historische Stadtführung mit dem „Hauptmann von Köpenick“, Führung durch das Schloss Köpenick, Sightseeing vom Wasser aus, Schifffahrt mit gemeinsamem Mittagessen

Anmeldung:

Für Mitglieder der Druck- und Medienverbände und Journalisten ist die Teilnahme am Deutschen Druck- und Medientag kostenfrei.

MVFP23: Mediennacht der freien Presse am 21. Juni in Berlin

Glanz und Glamour am Ufer der Spree

Lebensader, Verkehrsweg und Erholungsgebiet: Dafür steht die Spree in Berlin. Dieses einzigartige und pulsierende Umfeld bietet die perfekte Bühne für die erste Mediennacht der freien Presse. In der kreativen Atmosphäre des einstigen Restaurant-Clubs Spindler & Klatt trifft sich die Branche und feiert gemeinsam mit Prominenten aus Politik, Gesellschaft und Medien am 21. Juni 2023 den Beginn des Sommers.

Am 22. Juni bietet der MVFP mit dem Medienkongress der freien Presse eine neue Plattform für Diskussion, Wissenstransfer und Austausch zwischen Top-Entscheiderinnen und -Entscheidern der Presseverlage sowie Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht die Zukunft der unabhängigen, marktwirtschaftlich finanzierten Presse, die Transformation und Gestaltung der Zukunft. Netzwerkmöglichkeiten zur Diskussion mit den Podiumsgästen und der so wichtige und schöne Austausch untereinander stehen im Fokus des Kongresses.

Medienkongress der freien Presse

Inspirierende Vorträge von renommierten Medienexperten und Gastrednern geben beim Medienkongress der freien Presse am 22. Juni 2023 tiefe Einblicke in hochaktuelle Themen, die die Branche bewegen.

Interviewformate animieren zur Diskussion mit den Podiumsgästen und schaffen die besondere Möglichkeit, sich über die relevanten Entwicklungen in den Medienhäusern zu informieren, neue Synergien zu schaffen und in den direkten Austausch mit den Entscheiderinnen und Entscheidern zu gehen.

Ticketpreise & Anmeldung

Im Ticketpreis enthalten sind die Teilnahme am Medienkongress der freien Presse und an der Mediennacht der freien Presse.

Teilnahmegebühr MVFP-Mitglieder: 490 Euro (zzgl. MwSt.)

Teilnahmegebühr Nicht-Mitglieder: 890 Euro (zzgl. MwSt.)

E:Mail: Anmeldung

29./30. Juni 2023 | Frankfurt am Main

Der Top-Jahreskongress für das „Who is Who“ aus Marketing und Werbung: HORIZONT Kongress mit Martina Voss-Tecklenburg, Frauen-Nationalmannschaft, Ulrich Klenke, Deutsche Telekom, Prof. Dr. Kai Gniffke, SWR / ARD und Prof. em. Dr. Sloterdijk, Philosoph, Kulturwissenschafter und Publizist

Einige Themen 2023

KRISEN: Konzepte für Marketing und Medien in einer volatilen Welt

GENERATION Z: Wie Marken die junge Zielgruppe gewinnen

OUT-OF-HOME: Freiheit der Kommunikation oder Recht auf Werbefreiheit

MEDIA FREEDOM-ACT: Ist die europäische Medienpolitik auf dem Holzweg?

METAVERSE: Gibt es ein neues Internet?

COOKIELESS FUTURE: Was die Zukunft wirklich bringt

E-COMMERCE: Die Shoppingtrends im Fokus

CHAT GPT: Buzzword oder Weltveränderer?

Website:

22. Juni 2023 Media Tasting

Ein Medien- und Kommunikationskongress in Deutschland, den Sie so noch nie erlebt haben.

Do., 22. Juni 2023 09:00 - 22:00, Im Wizemann Quellenstraße 7 70376 Stuttgart

Das Media Tasting ist das jährliche Branchentreffen für Macher aus der Medien- und Kommunikationsbranche sowie Marketing- und Kommunikationsverantwortliche des Mittelstandes. Der Reiz des Media Tastings liegt in der Vielfalt seiner Teilnehmer: Alte Hasen treffen auf Young Professionals, TV-Macher auf Gamer, KI- und Blockchain-Experten, gestandene Unternehmer auf New Work-Vorreiter. Was alle Teilnehmer eint ist Neugier und Offenheit für neue Ideen, Kontaktfreude und Spaß am Genuss. Das macht die Freunde des Media Tastings zu einem dynamischen, kreativen Netzwerk über Branchengrenzen hinweg.

HAMMER DES QUARTALS

      
               Sex-SMS an den „Bild“-Chef: Auch im Fall Reichelt gibt es nicht nur Gut und Böse

                                               Von FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer

In der MeToo-Berichterstattung bevorzugen viele Medien Geschichten ohne Grautöne: hier das Opfer, dort der Täter. Die Wirklichkeit ist unübersichtlicher, wie SMS-Nachrichten im Fall Julian Reichelt zeigen.

Eine Geschichte aus dem Leben. Ein Mann und eine Frau treffen sich in Wien. Beide arbeiten bei derselben Firma, beide sind beruflich in der Stadt. Es entspinnt sich per SMS eine Konversation, die über den Tag anhält und erst in den frühen Morgenstunden endet.

13:20 Mann: Du bist auch in Wien?

13:34 Frau: Ja, Opernball

13:34 Mann: Ich auch nachher

13:35 Frau: Treffen?

13:36 Mann: Yes, bin erst mit Freunden essen. Danach Drink?

13:36 Frau: Ja, bin auch mit einer Freundin unterwegs. Sag Bescheid.

18:44 Frau: Sicher, dass Du später Zeit hast?

18:59 Mann: Nichts ist sicher außer Allah. Aber ziemlich. Wir können ja auch alle erst mal zusammen was trinken.

19:10 Frau: Machen wir so. Bin ab halb zehn im Schwarzen Kamel

Ein SMS-Verlauf, wie er so oder ähnlich jeden Tag tausendfach vorkommt. Einerseits. Andererseits auch wieder nicht, denn bei den beiden Personen, die am Ende dieses Tages ein Hotelbett teilen werden, handelt es sich um zwei Menschen, deren Beziehung erst die Compliance-Abteilung des Springer-Verlags, dann die Rechtsanwaltskanzlei Freshfields und kurz darauf alle großen Medien, von der „New York Times“ bis zum „Münchner Merkur“, beschäftigen wird.

Der Mann ist Julian Reichelt, vier Jahre Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, bis er nach Vorwürfen, er habe seine Macht missbraucht, gekündigt wurde. Auch die Frau kennt die Öffentlichkeit, allerdings nicht unter ihrem richtigen Namen. In der Berichterstattung über den Fall firmiert sie als Constanze Müller. Sie ist die Hauptbelastungszeugin im Verfahren gegen Reichelt; viele der ihm zur Last gelegten Vorgänge beruhen auf ihren Aussagen.

Was am 7. Februar 2018 in der Hotelnacht in Wien geschah, ist ein Dreh- und Angelpunkt des Skandals. Die Frau wird später erklären, Reichelt habe ihr befohlen, zu ihm ins Hotel zu kommen. Ihr sei auf dem Weg „kotzübel“ gewesen, nach dem Treffen habe sie angefangen, unkontrollierbar zu weinen. Aber sie habe sich nicht getraut, sein Verlangen nach „Sex auf Abruf“ abzuweisen.

So steht es auch in der Klageschrift, die sie in Los Angeles einreichte, um in Amerika die Gerechtigkeit zu erfahren, die ihr in Deutschland verwehrt blieb. Die Klage umfasst 132 Seiten, sie ist wie ein Drehbuch verfasst. Das meiste bleibt der Vorstellungskraft des Lesers überlassen. Außer eben, was diese Nacht in Wien angeht, da wird es konkret.

Eine Andeutung, dass es sich anders zugetragen haben könnte als bislang geschildert, findet sich bereits in der Geschichte der „Zeit“ vor zwei Wochen über die privaten SMS des Springer-Chefs Mathias Döpfner. „Oft ist es die Frau, die von sich aus über Sex spricht und Reichelt fragt, ob er noch vorbeikommen wolle“, schreiben die Autoren, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen. Die lieferte am Freitag vergangener Woche dann der Medienredakteur Marvin Schade im Branchendienst „Medieninsider“.

Ich habe mit Schade telefoniert. Er ist aus gutem Grund vorsichtig, was die Bewertung angeht. Er sagt nicht, dass alles ganz anders war, als es die Frau schilderte. Aber der nun vorliegende Chat weise klar darauf hin, dass die Affäre einvernehmlicher war, als es bislang berichtet wurde. Das Leben ist nicht schwarz und weiß. Vor allem Journalisten sollten das eigentlich wissen.

23:34 Frau: Die Mädels wollen nach Hause.

23:34 Mann: In welchem Hotel bist Du?

23:39 Frau: Trendhotel Astoria.

23:53 Mann: Ich irgendwas mit Ferdinand. Bist Du noch unterwegs?

23:53 Frau: Ja.

00:01 Frau: Wollen jetzt aufbrechen.

00:17 Frau: Ist das auch ein Trend Hotel, in dem Du bist?

00:18 Mann: Jetzt schon…

00:18 Frau: Haha. Wo bist Du denn jetzt?

00:19 Mann: Noch im Restaurant. In ca. 20 los hier. Und Du?

00:21 Frau: Fast im Hotel. Wenn Dein Hotel das ist, was ich glaube, ist es 300 Meter von hier.

00:25 Mann: Das ist doch ganz praktisch, oder?

00:26 Frau: Gar nicht schlecht. Frage: Du zu mir oder ich zu Dir?

00:29 Mann: Ich glaub, meins ist besser.

00:30 Frau: Da bin ich mir sogar sicher. Schick mir mal die genaue Adresse.

00:30 Mann: Schubertring

00:38 Frau: Sind wirklich nur 300 Meter.

00:50 Frau: Yes or no?

Um das klar zu sagen: Ich hege keine besondere Sympathie für Julian Reichelt. Ich bin bis heute mit ihm per Sie, wir haben uns noch nie privat getroffen. Es soll auch das letzte Mal sein, dass ich mich zu der Sache äußere. Viele Journalisten haben eine Obsession mit dem Hause Springer entwickelt, ich will nicht den gleichen Fehler machen. Wenn ich trotzdem noch einmal über Reichelt schreibe, dann weil ich glaube, dass der Fall ein paar wichtige Lektionen bereithält.

Ich verstehe das Bedürfnis nach Übersichtlichkeit. Wo sich jeder so verhält, wie es das Drehbuch vorsieht, muss man weniger erklären. Überraschungen können nerven. Aber sollte man nicht gerade von Journalisten etwas mehr Gespür für die Fallstricke der Wirklichkeit erwarten? Malen nach Zahlen soll beruhigende Wirkung haben, als Methode beim Schreiben ist es furchtbar öde.

Ich bin unter anderem Journalist geworden, weil ich es immer reizvoll fand, die andere Seite zu hören. Der Mensch ist ein Bündel an widerstreitenden Motiven und Emotionen. Es mag Menschen geben, die das absolut Böse oder die reine Tugend verkörpern. Aber die meisten tragen beides in sich, mit größeren Anteilen des einen oder anderen. Deshalb sind ihre Handlungen oft komplex, mitunter auch kompliziert. Das macht es ja so interessant.

Nicht nur den Männern, auch den Frauen wird in der MeToo-Berichterstattung diese Komplexität verweigert. Sie kommen entweder als armes Hascherl vor, das nicht weiß, wie ihm geschieht – oder als ins Unglück Gestoßene, die sich dem Druck nicht erwehren konnte. Dass auch Frauen Avancen machen, weil sie sich Vorteile erhoffen oder weil sie es einfach aufregend finden, mit ihrem Chef eine Affäre zu haben, das kommt nicht vor.

Ist es möglich, dass man sich betrogen und ausgenutzt fühlt, obwohl man selbst es war, der eine Affäre initiierte? Auch das ist möglich. Es ist sogar denkbar, dass man einen Vorgesetzten manipuliert und dennoch als Verlierer endet. Aber mit dieser Erkenntnis bewegt man sich auf einem Terrain, das deutlich unübersichtlicher ist als die Geschichten, in denen der Mann immer der Täter und die Frau sein Opfer ist, ohne Graustufen dazwischen. „Noch wach?“, der Satz, der den Buchtitel des MeToo-Romans des ehemaligen Springer-Mitarbeiters Benjamin Stuckrad-Barre bildet, wird übrigens gerne von Constanze verwendet, die im Roman „Sophia“ heißt

Eine Lehre aus dem Fall Relotius war, dass es saugefährlich werden kann, wenn Reporter dem Bedürfnis nachgeben, die Welt in Gut und Böse zu unterteilen. Weil sich die Wirklichkeit dem Wunsch nach Eindeutigkeit widersetzt, muss der Autor nachhelfen, indem er Fakten unterschlägt oder, wie bei Relotius geschehen, Teile der Realität erfindet. Es sieht so aus, als ob es vielen schwerer fällt, die Welt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit in den Blick zu nehmen, als man sich das eigentlich vorgenommen hatte. Im Sommer vergangenen Jahres hat der „Spiegel“ den Henri-Nannen-Preis für seine Reichelt-Berichterstattung erhalten. Nach Sichtung der Belege stellte der Chefredakteur des Branchendienstes „Kress Pro“, Markus Wiegand, die Preiswürdigkeit infrage, die Faktenlage erschien ihm zu dünn. Die Beleglage ist nicht besser geworden, muss man sagen.