Skip to main content

NOVEMBER 2020

  • news

Wichtige Nachrichten

Goodbye Vorratsdatenspeicherung!

Die Talkshow-Gesellschaft

Tesla-Pressearbeit ist wie früher bei ALDI

Montenegro: Justiz nur Fassade

Berlin: Journalisten als Straftäter?

VEJ Aktuell
Mitgliederversammlung und Weihnachtsessen fest eingeplant
Gastkommentar
Bis zu den Knien.....
Termine
Hammer des Quartals
Die Hexenverbrennung des Dieter Nuhr


 
                        Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitglieder

Corona und kein Ende …

Wer von uns hätte gedacht, dass das Jahr 2020 – von den ersten beiden Monaten abgesehen – fast durchgängig von diesem Thema beherrscht wird? Selbst der Zusammenhalt in Europa ist durch Grenzschließungen und Reisewarnungen, beides mit massiven Auswirkungen auf die Wirtschaft der Mitgliedsstaaten, auf eine harte Probe gestellt worden. Nach einer zwischenzeitlichen Beruhigung durch rückläufige Infektionszahlen ist nun die Angst bei vielen Menschen zurück. Derzeit steigen die Infektionszahlen europaweit wieder und selbst die Fachwelt sieht derzeit kein konkretes Ende voraus. Wir alle warten auf eine baldige wirksame Impfung. Erste Hoffnungen sind gesetzt.

Das alles hat sich natürlich auch ganz erheblich auf unsere Aktivitäten und unser Programm ausgewirkt.  Vieles von dem, was wir an Veranstaltungen geplant hatten – ich denke dabei insbesondere an unser „Flaggschiff“, den Mediendialog in München sowie die internationale Jahresversammlung der European Journalists in Timișoara – mussten bedauerlicherweise auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Dennoch: Wir werden auch in dieser Situation in unserem Bemühen nicht nachlassen, zumindest schrittweise wieder zur Normalität zurückzukehren. Zurzeit laufen deshalb die Planungen für unsere Mitgliederversammlung im Dezember 2020. Wir alle hoffen sehr, dass die Umstände der Pandemie es uns ermöglichen, die Mitgliederversammlung unter coronagerechten Bedingungen stattfinden zu lassen. Wir sind uns der Verantwortung bewusst, die wir für unsere Mitglieder haben.

Eines aber ist mir angesichts dieser völlig neuen und sich fortlaufend verändernden Situation besonders wichtig: Lassen Sie uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Herausforderung für ganz Europa und die übrige Welt mit faktengeprägter Berichterstattung und kritischer Kommentierung verantwortungsvoll begleiten.

Als Vereinigung mit europäischer Ausrichtung bewegen uns aber auch nach wie vor die vielfältigen und facettenreichen drängenden Probleme Europas, des Zusammenhalts der Union und der Bedeutung unseres Kontinents in der Welt.

 

Bitte bleiben Sie gesund und zuversichtlich!

Rolf Schmidt

Vizepräsident der VEJ


 
GOODBYE VORRATSDATENSPEICHERUNG!


Der EuGH hat sich nicht unter Druck setzen lassen. Eine anlasslose Massenüberwachung der EU-Bürger kann es nicht geben. Das Gericht stellte fest, dass nationale Regelungen zu einer pauschalen Vorratsdatenspeicherung aller Kommunikationsdaten der EU-Bevölkerung nicht zulässig sind.
 Deutscher Bundestag - Vorratsdatenspeicherung vor der Abstimmung
Bereits mehrfach hat sich der EuGH ablehnend zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) geäußert und die zugrundliegende EU-Richtlinie 2014 sogar aufgehoben. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte sich bereits 2010 eindeutig positioniert und die deutsche Umsetzung der anlasslosen Massenüberwachung für verfassungswidrig erklärt. Trotzdem wurde sie im Jahr 2015 trotz massiver Kritik wieder eingeführt. Seit einer erneut ablehnenden Entscheidung des OVG Münster im Jahr 2017 hat die zuständige Bundesnetzagentur die Pflicht zur Umsetzung der VDS allerdings ausgesetzt.

Wie eine Untote geistert die VDS jedoch weiter in der sicherheitspolitischen Debatte herum und gilt in einschlägigen Kreisen trotz anderslautender wissenschaftlicher Erkenntnisse als alternativlos im Kampf gegen vor allem Online-Kriminalität. Dabei wurde zuletzt angesichts massiver Probleme im Bereich Kinderpornografie massivster Druck auf die Gerichte aufgebaut, teilweise sogar anhand falscher Darstellung der Kriminalitätsstatistiken.

Der EuGH hat sich davon erfreulicherweise nicht beeindrucken lassen. Eine anlasslose VDS ist mit den europäischen Grundrechten nicht vereinbar. Er betont dabei, dass dies gerade auch für Datensammlungen für die Sicherheitsbehörden gilt. Zwar lässt der EuGH in engsten Grenzen Ausnahmen im Falle einer akuten Bedrohung der öffentlichen Sicherheit zu. Dazu muss jedoch konkret nachgewiesen werden, dass die VDS hierzu überhaupt geeignet ist. Eine Hürde, die die Unterstützer der VDS bisher schlicht ignorieren und so, wie auch heute, immer wieder vor den Gerichten scheitern.

Quelle Friedrich Naumann Stiftung

 

DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT

Politische Talkshows erreichen Woche für Woche ein Millionenpublikum. Während der „ersten Welle“ der Corona-Pandemie nahm die Reichweite mancher Gesprächsformate von ARD und ZDF um weitere 30 Prozent zu. Gleichzeitig stehen diese Sendungen für die Art von medialem Diskurs, durch die sich eine gesellschaftliche Minderheit nicht (mehr) repräsentiert fühlt und seinen VertreterInnen mitunter zunehmend aggressiv gegenübertritt.

 

Ob als „Ersatzparlament“ verklärt oder als „Quasselrunde“ polemisiert: Politische Talkshows sind nicht nur ein populäres Fernsehformat, sondern auch beliebter Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Studien, journalistischer Analysen oder privater Gespräche. Der „Talk über den Talk“ wird mittlerweile fast leidenschaftlicher geführt als manch eine Sendung selbst. Themensetzung, Gästeauswahl, Sendungstitel, Diskursführung – nahezu jeder Aspekt gerät regelmäßig auf den Prüfstand. Nicht immer mit überzeugenden Argumenten, häufig auch mit persönlichen Empfindlichkeiten.

Die Studie untersucht, wie es um die Repräsentation gesellschaftlicher Bereiche und politischer Ebenen in öffentlich-rechtlichen Talkshows bestellt ist. Pointiert lautet die Forschungsfrage: Wer spricht für wen? Untersucht wurden die Gästelisten und Themen von 1.208 Sendungen über einen Zeitraum von drei Jahren, plus der Sendungen aus der Hochphase der Corona-Pandemie. Der Fokus der Analyse liegt auf den „Big 4“ der Talkshow-Landschaft (Anne Will, hart aber fair, Maischberger und Maybrit Illner), für punktuelle Vergleiche wurden außerdem Markus Lanz und die Phoenix Runde ausgewertet.

Letztendlich, offenbarte die Datenanalyse der Gästebesetzung Unterschiede in der Repräsentation verschiedener gesellschaftlicher Kräfte und politischer Ebenen, was auf eine „Krise der Repräsentation“ schließen lässt. Ob diese Diagnose als zeitgenössische Demokratieherausforderung überzeugender scheint als eine systemische “Krise der Demokratie” diskutiert die Studie im Folgenden. Basierend auf den Ergebnissen identifiziert die Studie Handlungspotenziale um Vertrauen zu stärken, lösungsorientierter zu debattieren und den politischen Blickwinkel zu weiten.

Die zentralen Erkenntnisse

  • Zwei Drittel aller Gäste kommen aus Politik und Medien: 8,8 Prozent aus der Wissenschaft; 6,4 Prozent aus der Wirtschaft; 2,7 Prozent aus der organisierten Zivilgesellschaft.
  • 70 Prozent der talkenden PolitikerInnen sind von der Bundesebene: 7,3 Prozent von der europäischen und 2,4 Prozent von der kommunalen Ebene.
  • Besonders niedrig ist die Talkshow-Präsenz von Organisationen, die ein überdurchschnittliches Vertrauen in der Gesellschaft genießen (z.B Verbraucherschutz, NGOs, Gewerkschaften).

 Quelle: Norddeutscher Rundfunk NDR


MEDIEN-PROFESSOR: TESLA-PRESSEARBEIT IST WIE FRÜHER BEI ALDI

tesla ceo elon musk giga berlin sep20
Bild: Tesla-Chef Musk bei Deutschland-Besuch (Foto: @tobilindh)

ournalisten haben damit schon länger ihre Probleme, und seit der Blog Electrek vor kurzem darüber berichtete, ist auch der breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass Tesla auch mit Blick auf die Presse-Arbeit neue Wege geht: Die PR-Abteilung in den USA soll schlicht aufgelöst worden sein, nachdem Medien-Anfragen schon vorher nicht mehr beantwortet wurden. In Europa und erst recht Asien sieht es bei Tesla allerdings anders aus. Und ein Medien-Professor sagte jetzt in einem Interview, dass Teslas allgemeine Schweigsamkeit gegenüber Journalisten auf der einen Seite typisch für US-Unternehmen sei und auf der anderen Seite durchaus ältere Vorbilder in Deutschland habe.

Tesla wie Familien-Unternehmen

Auf gewisse Weise sei Tesla wie ein deutsches Familien-Unternehmen, sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg – auch für den SZ-Beitrag wurde erfolglos nach einer Stellungnahme gefragt. Ähnlich wie bei Aldi und Lidl, die für die Presse früher ebenfalls kaum ansprechbar waren, stecke hinter der Blockade die Botschaft, PR einfach nicht nötig zu haben: Die Preise (oder im Fall von Tesla die Elektroautos) sollten einfach für sich sprechen

Gleichzeitig steht das Vorgehen von Tesla laut Frühbrodt für einen breiteren Trend vor allem bei US-Unternehmen aus der Technologie-Branche, Medien nicht als Partner auf Augenhöhe zu betrachten, sondern eine „top-down-Kommunikation mit zuweilen manipulativen Zügen“ zu verfolgen. Auch andere Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley würden in Europa so vorgehen. Über soziale Medien sei es zudem leichter geworden, statt über Journalisten direkt Kontakt zur Öffentlichkeit aufzunehmen, um sich nur über gewünschte Themen zu äußern.

Und bei Tesla macht das CEO Elon Musk persönlich. Europäische Presse-Mitarbeiter (die es noch gibt, aber nicht offiziell in dieser Funktion) erlauben sich gelegentlich zu scherzen, bei US-Unternehmen wisse man hierzulande grundsätzlich nur, was auf deren amerikanischer Website steht – und bei dem Elektroauto-Pionier eben zusätzlich das, was Musk auf Twitter schreibt.

„Visionen im Sinn von Helmut Schmidt“

Dazu sagte Medien-Professor Frühbrodt jetzt der SZ, der CEO sei eine „One man Show“, ein bisschen wie bei Apple in der Ära unter Steve Jobs. Vorstellungen neuer Geräte seien dort oft „reine Jubelarien“ gewesen. Wer kritische Fragen stellte, habe damit rechnen müssen, beim nächsten Mal nicht mehr eingeladen zu werden. Auch Tesla hatte den begrenzten Zugang zu seinem großen Batterie-Infotag im September offiziell verlost, aber es waren auffallend viele Twitter-Beobachter zugegen, die wie ein inoffizielles Presse-Team auftreten, indem sie Tesla erklären und teils energisch verteidigen.

Frühbrodt sieht das kritisch: Musk werfe bei Tesla die Fragen auf, wer die Themen und die Inhalte bestimme, die damit zusammenhängen, und beantworte sie mit einem lauten „Ich“. Darin erkennt der Professor einen „radikalen Schnitt, der eine gewisse geistige Verwandtschaft zum politischen Populismus aufweist“. Tesla versuche, die „kritische, differenzierende Betrachtungsweise auszuhebeln“.

Zu Aussagen vom CEO, sein Unternehmen sei das Ziel von Medien-Verschwörungen, weil Tesla ihnen kein Geld für Werbung gibt, sagte der Professor, es komme eben vor, dass Visionäre Visionen haben – im Sinne von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der für solche Fälle einen Arzt-Besuch empfahl. Und wer Visionen habe, sei eben schwer von einer PR-Abteilung zu kontrollieren. Also mache Musk die Kommunikation gleich selbst. Dabei könne es vorkommen, dass er eine riesige Neuigkeit wie den Standort der europäischen Gigafactory von Tesla bei Berlin quasi nebenbei verkündet – und damit mehr Aufsehen erregt als mit einer organisierten Presse-Konferenz.

Quelle: Süddeutsche Zeitung

JOURNALIST IN MONTENEGRO: UNSERE JUSTIZ IST NUR EINE FASSADE!

Keine zwölf Stunden nach dem Besuch von Montenegros Präsident Milo Djukanović bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde der unabhängige Journalist Jovo Martinović zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.


Jovo Martinović Journalist aus Montenegro (Privat/Reporters Without Borders)
Jovo Martinović, unabhängiger Journalist aus Montenegro

DW: Herr Martinović, Sie stehen seit 2015 im Visier der montenegrinischen Justiz, heute wurden Sie erstinstanzlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil sie angeblich Drogenhandel vermittelt haben sollen. Wie kommentieren Sie das Urteil?

Jovo Martinović: Ein Urteil dieser Art war zu erwarten. Ich denke, es gab eine entsprechende politische Anweisung. Dieselben Richter, die mich verurteilt haben, sind auch als Richter in anderen politisch sensiblen Fällen tätig gewesen, zum Beispiel gegen Oppositionspolitiker.

Ihr Fall dauert bereits seit fünf Jahren. Können Sie ihn kurz zusammenfassen?

Im Sommer 2015 arbeitete ich für den Fernsehsender Canal Plus in Paris an einer investigativen Geschichte über illegalen Waffenhandel vom Balkan nach Frankreich. Bei der Recherche kam ich in Kontakt mit Kriminellen aus dem Drogenmilieu, die mir Kontakte in die Waffenhändlerszene vermittelten. Diese Kriminellen wurden kurz darauf wegen Drogenhandels verhaftet. Auch ich kam in Haft und wurde beschuldigt, Teil eines Drogenhändlerrings zu sein, obwohl ich ganz klar ein mit einer Recherche beauftragter Journalist war, was mir die Redaktion attestierte und was später auch die verhafteten Drogenhändler aussagten.

Sie waren mehr als  vierzehn Monate in Untersuchungshaft.

Ja, von Oktober 2015 bis Januar 2017. Während dieser Zeit wurde ich von den Beamten der Sonderstaatsanwaltschaft erpresst. Sie wollten, dass ich ein falsches Geständnis unterschreibe. Dann wäre ich frei gekommen. Sie gingen auch zu meiner Familie, zu Kollegen, sie wollten unbedingt mein Geständnis. Aber ich weigerte mich. Zugleich konnten mein Anwalt und ich monatelang die Anklageschrift nicht lesen. Beweismittel wurden erst unmittelbar vor Prozessbeginn präsentiert, und das auch nur teilweise. Es gibt Beweismittel, die ich bis heute nicht einsehen kann, zum Beispiel Transkripte von Telefongesprächen. All das ist illegal. Mein Fall war vom ersten Tag an eine Farce.

Die Anklage behauptete, sie hätten auf dem Smartphone eines Drogenhändlers eine Kommunikations-App installiert.

Der Vorwurf war so lächerlich, dass er fallengelassen wurde. Sie sagten wörtlich, ich hätte "eine gewisse Kommunikations-App" installiert, ohne zu sagen, welche genau. Der einzige Anklagepunkt, der bestehen blieb, ist, dass ich den Kontakt zwischen dem Kronzeugen der Anklage und dem Hauptangeklagten hergestellt haben soll. Tatsächlich hatten die beiden durch mich Kontakt, allerdings lange vorher, während eines anderen investigativen Filmprojekts, anderthalb Jahre vor meiner Verhaftung.

Warum sind Sie so gefährlich für Montenegro?

Es gibt in Montenegro immer wieder große Fälle von Waffen-, Drogen- und Zigarettenschmuggel. Das ist nicht ohne Beteiligung von Leuten aus dem Staat denkbar. Und der Staat, das sind der Präsident Milo Djukanović und seine regierende Demokratische Partei der Sozialisten, also eigentlich die früheren Kommunisten. Wer darüber recherchiert, der muss in ihren Augen dafür bezahlen.

Wie werden Sie nach diesem erstinstanzlichen Urteil weiter vorgehen?

Ich werde das Urteil vor dem Berufungsgericht anfechten. Wenn man mich in Montenegro rechtskräftig verurteilt, werde ich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen.

Ins Gefängnis müssen Sie nicht, weil Sie ja bereits mehr als vierzehn Monate in Untersuchungshaft waren.

Ja, aber es geht um viel mehr. Laut dem jetzigen Urteil wäre ich ein Krimineller. Und das stimmt nicht. Ich bin unschuldig. Und ich werde solange kämpfen, bis ich das schwarz auf weiß habe.

In Montenegro gab es kürzlich zum ersten Mal eine demokratische Wahlwende. Bald könnte eine Reformregierung antreten. Wird sich dadurch in der Justiz etwas verbessern?

Die nominell unabhängige Justiz wird immer noch von Djukanović und seinem Machtkartell kontrolliert. Es wird nach meiner Ansicht sehr lange dauern, bis grundlegende Veränderungen in der Justiz greifen.

Es gab in den vergangenen Jahren Dutzende von Angriffen auf Journalisten. Im Mai 2018 wurde Ihre Kollegin, die Investigativreporterin Olivera Lakić, angeschossen und schwer verletzt. Wie bewerten Sie allgemein die Situation unabhängiger Journalisten in Montenegro, die zu Korruption und organisierter Kriminalität recherchieren?

Man hätte Olivera Lakić auch umbringen können. So wie 2004 Duško Jovanović, den Chefredakteur der Zeitung "Dan". Aber sie wurde durch einen Schuss ins Bein sozusagen letztmalig gewarnt. Das war auch eine Warnung an alle anderen Journalisten, lieber nicht über politische Korruption auf höchster Ebene zu recherchieren. Kaum ein Fall eines Angriffs auf Journalisten wurde aufgeklärt. Zum Teil wurden nachweislich falsche Täter auf Basis falscher Geständnisse verurteilt, obwohl die wirklichen Täter bekannt waren.

Montenengros Staatspräsident Djukanović war am Mittwoch (7.10.20) zu einem offiziellen Besuch in Deutschland, der deutsche Bundespräsident Steinmeier lobte dessen demokratisches Verantwortungsbewusstsein. Wie finden Sie das?

Was auch immer Djukanović Schönes zu Demokratie zu sagen hat - das sind nur Lippenbekenntnisse. Die Justiz in Montenegro steht unter seiner Kontrolle und ihre Urteile werden in Parteibüros gefällt, nicht in Gerichten. Ich möchte Herrn Steinmeier eines ausrichten: Ich bezweifele, dass er gerne vor einem DDR-Gericht stehen würde. Unsere Justiz ist genau wie die in der DDR - eine Fassade ohne jeglichen rechtsstaatlichen Inhalt.

Jovo Martinović, 46, ist freier Journalist in Montenegro und recherchiert vor allem über Korruption und Verbindungen zwischen Politik und organisierter Kriminalität. Er arbeitet sowohl für unabhängige montenegrinische als auch für ausländische Medien, darunter für die BBC, "Financial Times", "Economist", "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Süddeutsche Zeitung". Für seine Beiträge wurde er mit zahlreichen internationalen Journalistenpreisen ausgezeichnet, darunter mit dem "Press Freedom Award" der NGO Reporter ohne Grenzen.

Quelle: Deutsche Welle

 


JOURNALISTEN ALS STRAFTÄTER?

 
         Mitgliederversammlung und Weihnachtsessen fest eingeplant!

Viele Sitzungen, Veranstaltungen und Treffen von Verbänden und Vereinen wurden wegen der Pandemie abgesagt, verschoben oder online durchgeführt. Mittlerweile hat man aber dazu gelernt und weiß, dass man mit Abstand halten, Hygiene beachten und Alltagsmasken vieles ermöglichen kann. Insbesondere da die Einschränkungen den beruflichen Bereich, zu dem die VEJ zu rechnen ist, nur bedingt betreffen.

Pizzeria Ischia München Neuhausen-Nymphenburg | Öffnungszeiten | Telefon |  Adresse
Wir werden deshab am Montag den 07. Dezember im Ristorante Ischia, Alfonsstr.7, 80636 München um 13:00 Uhr unser traditionelles Weihnachtsessen und anschließend die Mitgliederversammlung durchführen.

Unserem Generalsekretär Michael Jäger ist es gelungen, dass das Ischia, welches an Montagen Ruhetag hat, exklusiv für uns öffnet. Bis dahin sollten auch die aktuellen strengeren Lockdown-Bestimmungen wieder gelockert sein.

Alle Mitglieder erhalten selbstverständlich noch eine offizielle, satzungs- und fristgemäße Einladung für die Mitgliederversammlung. Notfalls sgaen wir wieder ab und entwickeln eine Alternativlösung.

           Bis zu den Knien.... von Dr. Uwe Brückner Vorsitzender 

                                    PressClub-München 
  
Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit enden da, wo dem Journalisten Grenzen gesetzt werden: Sperrzonen und No-Go-Areas schließen unabhängige Berichterstattung aus. Zugang hat dann nur noch, wer gut „behütet“ ist: Embedded im Tross der aliierten Berichterstattung. Blickwinkel, „Kodak-Points“ sind für internationale Presse vorbereitet und Protagonisten bestens gebrieft. Das Hotelzimmer ist fern ab vom „Schuss“ und die Rechnung an der Bar zahlt der Presseoffizier.

Gerade in Kriegs- und Krisenzeiten ist ein Phänomen unübersehbar: Konfliktparteien gewähren Zugang nur altbekannten Kollegen und renommierten Medien. In der Regel sind das die Heimat-Agenturen und Homie-Sender, die über die Situationen der jeweiligen Konfliktpartei nach Hause berichten.

Bestes Beispiel war der Ukraine-Konflikt im Donbas: Während das ukrainische Staatsfernsehen und die US-amerikanischen Broadcaster über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen der Russen berichteten, sah man im russischen Staatsfernsehen die andere Seite des Don und bekam Greuelgeschichten vorgesetzt über die Unterdrückung russisch-stämmiger Einwohner im ukrainischen Grenzgebiet. Auch keine wirklichen Erkenntnisgewinne konnten ausländische Korrespondenten vermitteln. Die würden einfliegen, „ins Live-Set steigen und dann die Welt erklären, von der sie im Grunde kaum Ahnung hätten...“ .

„Ich las und sah täglich eine designte Berichterstattung, einseitige Darstellungen, entweder von der ukrainisch-amerikanischen Doktrin oder von den Russen.“ erklärte mir der junge Medienunternehmer Justin Varilek. Der Amerikaner studierte in Moskau, war selbst für „Moskau Times“ tätig und verfolgte den medialen „Grenzverlauf“ während der heissen Phase täglich. Neutrale Berichterstattung oder Meinungen und Bilder von Freelancern gab es nicht. Varilek: „Entweder man verlässt sich auf die Generalberichterstattung der jeweiligen Staatsmedien oder man ist auf Hörensagen und ungeprüftes Material, das durchs Internet wabert, angewiesen.“ 

Varilek sah in dieser doppelten Einseitigkeit einen Handlungsbedarf. Er gründete die junge Vermittlungsagentur „Hackpack.press“. Dort unter dem Slogan „find, hire, pay. the best journalists“ bieten sich freie Fotografen, Videoreporter, Rechercheure und Reporter als Alternativquelle an. Unabhängige Berichterstattung wird möglich und die direkte Akquise von Berichterstattern nutzten von Beginn an besonders kleine und unabhängige Medien zur ungefärbten Berichterstattung. Kontakt, Abwicklung, Briefing und Bezahlung freilich funktionieren nur über ein intakte Onlineverbindung.

Einige Dutzend junge Freelancer hätten sich sofort gemeldet, um aus dem Donbas zu berichten.

Vor drei Jahren war Justin Varilek auf Einladung des Int. PresseClub in München. Er berichtete hier den zumeist jungen Mentees und Studenten vom rasanten Aufstieg dieser Finde-Plattform. „Wer mitmachen will, gibt Referenzen an, die wir überprüfen können. Empfehlungen und Arbeitsproben.“ erklärte Varilek dazu.

Am wichtigsten sei ihm die Erklärung der jeweiligen Risikobereitschaft. Bei Hackpack.press  werden drei Stufen zur Auswahl angeboten: „Ich gehe dorthin, wo es knallt!“ Oder: „Ich gehe nur bis zu den Knien ins Wasser!“ Oder: „Ich berichte vom Parkett aus“. Heute sorgen 12.000 Journalisten aus 160 Ländern für Alternativen in der internationalen Krisenberichterstattung. 

„Hackpack“ übrigens ist mit einem gewissen Augenzwinkern als Projektname gewählt worden. „Hackpack“, das ist die anglizistische Umschreibung von „Pressemeute“ oder „Reporterrudel“. Eine entsprechende Übersetzung gibt es auch für „PR-Fuzzis“, die werden gemeinhin „Flackpack“ genannt. Nur zur Ergänzung.

Ich trug mich als versierter Videoreporter übrigens selbst bei hackpack.press ein. Zwar ist Bayern kein Krisengebiet, dennoch zeigte ich mich bereit „bis zu den Knien“ ins Wasser zu gehen.

Das imponierte offenbar, denn bereits zwei Tage später kontaktierte mich eine unabhängige chinesische Nachrichtenagentur. Man war interessiert an einem Stück über Bibiana Steinhaus. Die Deutsche war da gerade als erste Schiedsrichterin im internationalen Profifussball gefragt. Der Zugang zu ihrem bayerischen Schiedsrichterlehrgang wurde mir allerdings verwehrt. Nicht von einem Dienst oder einer Einheit. Es war der DFB.

 

 
                  Anmeldung für "Europa spricht 2020" gestartet
 
Für das Dialogformat „Europa spricht“ ruft ZEIT ONLINE gemeinsam mit Medienpartnern aus 15 europäischen Ländern wieder zur Anmeldung auf. Die Aktion lädt Menschen aus ganz Europa zur grenzübergreifenden persönlichen Debatte über kontroverse politische Themen ein. Jedem Teilnehmer wird dabei ein individueller Gesprächspartner aus einem anderen Land vermittelt, der möglichst unterschiedliche Ansichten vertritt. Die auf Englisch geführten Eins-zu-eins-Gespräche finden dieses Mal per Videoanruf statt. Im Vorjahr hatten an „Europa spricht“ 17.000 Europäerinnen und Europäer aus 33 Ländern teilgenommen.
 
Am 13. Dezember werden sich so wieder tausende einander bisher unbekannte Menschen aus unterschiedlichen Ländern zu einem Online-Streitgespräch unter vier Augen treffen. Sie diskutieren etwa die Frage, ob der Schutz der Gesundheit vor dem Coronavirus immer an erster Stelle stehen sollte, selbst wenn die Wirtschaft darunter leidet, ob in Europa eine Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten sinnvoll ist oder ob Schulen während der Pandemie immer offen bleiben sollten. Sieben Ja-Nein-Fragen, die alle Teilnehmenden vorab beantworten, dienen zur Vermittlung eines andersdenkenden Gesprächspartners.
 
Möglich werden diese Gespräche durch die Kooperation von ZEIT ONLINE mit einem großen Netzwerk europäischer Medien: bTV Media Group in Bulgarien, Calea Europeana in Rumänien, Delfi in Lettland, De Volkskrant in den Niederlanden, Der Standard in Österreich, Efimerida Ton Syntakton in Griechenland, Expresso in Portugal, France24 in Frankreich, Gazeta Wyborcza in Polen, HotNews in Rumänien, Kapital in der Slowakei, La Repubblica in Italien, LRT.lt in Litauen, Mirror in Großbritannien, Phoenix in Deutschland, Politiken in Dänemark, Republik in der Schweiz. 
 
„Europa spricht“ wird dieses Mal unterstützt durch das Auswärtige Amt anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 sowie durch die European Cultural Foundation, die Allianz Kulturstiftung und die Evens Foundation. „Europa spricht“ wird zudem in Partnerschaft mit dem Goethe-Institut organisiert. 
 
Die Idee zu „Europa spricht“ basiert auf einem ZEIT-ONLINE-Projekt, das vor drei Jahren entstand: „Deutschland spricht“, ein Gesprächsformat, das politisch Andersdenkende zu einem persönlichen Zwiegespräch zusammenbringt. In Kooperation mit Medienpartnern ist daraus die internationale Plattform „My Country Talks“ entstanden, die bereits in 13 Ländern Bürgerdialoge ermöglicht hat. Mehr als 150.000 Menschen weltweit haben sich mittlerweile über die Plattform für ein politisches Eins-zu-Eins-Gespräch angemeldet.
 
Die „My Country Talks“-Software wurde von der Berliner Agentur diesdas.digital im Auftrag von ZEIT ONLINE entwickelt. Der Aufbau der Plattform wurde in den vergangenen Jahren durch das Auswärtige Amt, europäische Stiftungen und Google unterstützt. „Deutschland spricht“ und „My Country Talks“ wurden u.a. mit dem Grimme Online Award, dem Jean Monnet Preis für europäische Integration und dem President’s Award der International Public Relations Association (IPRA) ausgezeichnet.


Pressekontakt:
Judith Busch
Referentin Unternehmenskommunikation
ZEIT Verlagsgruppe
Tel.: 040 / 32 80 – 1323
E-Mail: judith.busch@zeit.de 

Donnerstag,‌ ‌17.‌ November 2‌0‌20, Künstlerhaus München
                                       Europäische Begegnungen
anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Mit Bundesfinanzminister a.D. und "Vater des Euro" Dr. Theo Waigel und Dr. Ingo Friedrich, Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments.

 

Infos und Anmeldung direkt bei Künstlerhaus München: kuenstlerhaus-muc.de

                 Parlament schreibt Caruana-Galizia-Preis für investigativen  Journalismus aus

Zum Gedenken an den 3. Jahrestag der Ermordung der maltesischen Investigativ-Journalistin wird der Preis journalistische Arbeit auszeichnen, die Prinzipien und Werte der EU widerspiegelt.

Der offizielle Startschuss für den neuen Journalismuspreis des Europäischen Parlaments wird am Freitag, den 16. Oktober, 12:30-13:00 Uhr live auf der Facebook-Seite des EP übertragen. Die Veranstaltung wird von der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Heidi Hautala (Grüne/EFA, FI), und dem maltesischen Europaabgeordneten David Casa (EVP) moderiert. Der Sohn der ermordeten Journalistin, Andrew Caruana Galizia, wird live aus Malta dazu geschaltet.

Die Redner werden auch Fragen aus dem Facebook-Publikum beantworten.

Herausragenden EU-Journalismus auszeichnen

Zweck des Preises ist es, herausragenden Journalismus auszuzeichnen, der die Grundsätze und Werte der Europäischen Union widerspiegelt, die in der Europäischen Charta der Menschenrechte verankert sind. Für das Europäische Parlament liegt der Schutz der Pressefreiheit weltweit, besonders für investigativen Journalismus, im vitalen Interesse demokratischer Gesellschaften.

Auch wenn der Preis vom Parlament initiiert und unterstützt wird, erfolgt die Organisation des Events durch einen unabhängigen Medienpartner mit Sitz in der EU. Das soll die Unabhängigkeit des Preises sicherstellen.

Nächste Schritte

Das Europäische Parlament wird in Kürze mit der Auswahl einer unabhängigen Organisation beginnen. Der gewählte Partner wird die detaillierten Kriterien für die Preisvergabe festlegen und die Zusammensetzung der Jury bestimmen. Dazu wird noch vor Ende des Jahres eine öffentliche Ausschreibung veröffentlicht.

Der Aufruf zur Nominierung für den Preis wird um den 3. Mai 2021 - dem Welttag der Pressefreiheit - veröffentlicht. Die jährliche Preisverleihung wird jedes Jahr in zeitlicher Nähe des Todestags von Daphne Caruana Galizia stattfinden.

Hintergrund

Daphne Caruana Galizia war eine maltesische Journalistin und Bloggerin, die am 16. Oktober 2017 bei einem Autobombenanschlag getötet wurde. Sie konzentrierte sich auf investigativen Journalismus und berichtete über Korruption in der Regierung sowie über Vorwürfe der Geldwäsche und des organisierten Verbrechens.

Kontakt
Armin WISDORFF

Pressereferent

(+32) 2 28 40924 (BXL) 
(+32) 498 98 13 45 
armin.wisdorff@europarl.europa.eu 
presse-DE@europarl.europa.eu 
                         Die Hanns Martin Schleyer-Stiftung schreibt den 
                                        Friedwart Bruckhaus-Preis aus

Unter dem Titel: Vom Retter zum Lenker der Wirtschaft? - Chancen und Risiken einer im Schatten der Krise veränderten Rolle des Staates werden Preise für wissenschaftliche und journalistische Arbeiten vergeben.

An dem Wettbewerb können sich beteiligen:

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zum Wettbewerbsthema bemerkenswerte Forschungen geleistet haben, sowie

Medienschaffende, deren Beiträge sich durch allgemeinverständliche Darstellungen wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen ausgezeichnet haben.

Vorgesehen sind bis zu drei Preise von je € 5.000,-, die aufgeteilt werden können.

Über die Auswahl entscheidet eine Jury. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Bei der Auswahl werden aktuelle Arbeiten berücksichtigt, die in deutscher oder englischer Sprache veröffentlicht worden sind. Die Bewerber sollten bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Weitere Informationen unter schleyer-stiftung.de

Bewerbungsfrist: 16. Mai 2021

 
   Von der Meinungsfreiheit zum Shitstorm - Die Hexenverbrennung des                        Dieter Nuhr von VEJ-Präsident Dr. Ralf Schneider

Seit über 200 Jahren kämpfen wir in Europa um die Meinungsfreiheit und jetzt, wo wir sie zumindest in der EU weitgehend erreicht haben, stoßen wir auf ein Phänomen, welches das Erreichte stückweise zunichte macht.
Es geht um Meinungshoheit.

In den seltensten Fällen kommt es zum Austausch von Argumenten. Die Regel ist, dass die Vernichtung der abweichenden Meinung angestrebt wird, meist durch Überwältigung, Etikettierung, Beleidigung. Das Internet, vor allem die „sozialen Netzwerke“, sind insofern zum mittelalterlichen Marktplatz verkommen. Die Orte, an denen die Scheiterhaufen lodern, heißen Facebook und Twitter.

Der Kaberretist Dieter Nuhr ist einer der ersten, die dieses Phänomen problematisiert und gar am eigenen Leib erfahren hat. Wir Journalisten müssen aber auch jeden Tag damit rechnen.

Dieter Nuhr analysiert sehr genau wie es soweit kommen konnte. Er schreibt, dass der Zivilisation in der Anonymität des Virtuellen ihre wichtigste Grundlage fehlt: die Haftbarkeit des Einzelnen. Die Erfindung des Individuums als haftbare, sein eigenes Handeln verantwortende Person war die Voraussetzung für die Errichtung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer großen Errungenschaften: Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Die anonymen Massenaufläufe im Internet entheben den Einzelnen aus der bürgerlichen Verantwortlichkeit.

Die pöbelnde Masse tritt heute wieder selbstbewusst als Handelnder auf. Die Anonymität des Internets bedeutet insofern einen zivilisatorischen Rückschritt in Richtung Faschismus und Mittelalter, Pogrom und Hexenverbrennung. Es ist die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte, unter den Akteuren im Internet eine Kultur der Aufklärung zu schaffen, um die digitale Welt in ein bürgerliches Zeitalter zu überführen, fordert Nuhr.

„Alarmismus brauchen wir nicht mehr“ – denn Wut, enthemmte Empörung und Hysterie gehen Dieter Nuhr schon lange gewaltig auf die Nerven. Sein Kampf gegen die „Jammerlappen-Mentalität“ ist schon lange das Lieblingsthema des ehemaligen Lehrers.

Ängste und Wut beherrschen die Deutschen, jedenfalls die „Irren“ in der Echokammer Internet. „Früher stand der klassische Bekloppte an der Theke und sprach in sein Glas. Da hatte er höchstens einen Follower – den Wirt.“

Die tägliche Bilderflut der Medien löse diese Angst aus, die zu hysterischen Reaktionen führe, so Nuhr.  Überbehütende Eltern riefen nach einem überbehütenden Staat, der alles gesetzlich regeln solle, was an lebensverkürzenden Bedrohungen auftaucht. Nuhrs Einwand: Als lebensverkürzend wirke ja nicht nur Feinstaub, sondern auch Salami und Alkohol.

Grund genug für Nuhr, an Zeiten zu erinnern, in denen Kinder noch ohne Sturzhelm Dreirad fuhren und nur Warmduscher einen Autogurt anlegten. Eine klare Ansage in Richtung jener, die gerne den Satz „Früher war alles besser“ bemühen.

Nuhrs Appell, mehr Wertschätzung für das aufzubringen, was diese Welt für uns bereit hält, klingt vernünftig, liefert ihn aber den Hohepriestern der Meinungshoheit aus, die ihn dafür systematisch bestrafen und vor allem mundtot machen wollen.

Was im Internet mit Dieter Nuhr passiert, hatte nichts mehr mit einer Diskussion zu tun. Ein sogenannter Shitstorm, ein neues und nur im Internet vorzufindendes meteorologisches Phänomen, zog auf. Für den digital Unbedarften sei erklärt: Ein Shitstorm ist ein Massenauflauf, der zum Ziel hat, den Andersmeinenden durch massenhaften Bewurf mit verbalen Exkrementen mundtot zu machen.

Nuhr hat zahlreiche Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen auf seiner Seite gelöscht. Daraufhin wurde ihm „Zensur“ vorgeworfen, ein abstruser Vorwurf, geäußert von Menschen, denen die Bedeutung des Begriffes „Zensur“ offenbar nicht ganz geläufig ist. „Zensur“ herrscht, wenn eine öffentliche Meinungsäußerung systematisch von mächtigen Kräften unterdrückt wird. Davon abgesehen, dass es sich in den meisten Fällen nicht um Meinungsäußerungen, sondern um Beleidigungen, oft um strafrechtlich relevante Pöbeleien handelte, die keinerlei Interesse an sachlicher Auseinandersetzung erkennen ließen, handelt es sich nicht um Zensur, wenn jemand auf seiner eigenen Seite löscht, was ihm nicht gefällt, sondern um eine redaktionelle Entscheidung.

Es gilt bei uns offenbar teilweise schon als Zensur, wenn die eigene Meinung, so irre sie auch sein mag, nicht genügend Öffentlichkeit erfährt. Solche Sorgen hätten Menschen gerne, die in Ländern leben, in denen Zensur ein ernsthaftes Problem darstellt.

Die im Internet üblichen Beschimpfungen, Beleidigungen, Todeswünsche, Drohungen, was der Mensch halt so ausstößt, wenn er sich an seiner Tastatur unbeobachtet fühlt, beobachtet Nuhr mit einem gewissen Staunen, wie er sagt. Wo erfährt man so ungeschminkt, wie er ist, der Mensch?

Nuhr wurde auch schon zum islamophoben Ausländerfeind abgestempelt, weil er gegen islamistischen Fundamentalismus und Terrorismus eintrat.

Der Vorwurf der Islamophobie ist ein gutes Beispiel dafür, wie im Internet taktisch vorgegangen wird. Der Shitstorm ist der Versuch, eine sachliche Auseinandersetzung zu vermeiden, um stattdessen durch Überwältigung und Etikettierung des Andersmeinenden den Sieg im digitalen Vernichtungskampf davonzutragen. Der andere wird nicht mit Argumenten überzeugt, sondern abgestempelt. Ziel des Ganzen ist die moralische Diskreditierung von Andersdenkenden. Das ist die übliche Form der Auseinandersetzung im Netz.

Die Primitivität und Aggressivität, mit der Andersmeinende im Internet verfolgt werden, wird mit denselben psychologischen Mechanismen geführt, die früher zu Lynchjustiz und Pogromen führten. Der Andersmeinende wird zunächst als wahlweise „dumm“ oder „böse“ dargestellt. Er ist also das, was man im Mittelalter als „wahnsinnig“ oder „vom Teufel“ bezeichnete, damals wie heute ein Tötungsgrund, nur eben heute virtuell, ein erheblicher Fortschritt, sicherlich....

Der Delinquent wird zur digitalen Vernichtung freigegeben. Der Shitstorm ist die Hexenverbrennung des 21.Jahrhunderts, Gott sei Dank bei angenehmen Temperaturen, „nur“ sozial, nicht physisch vernichtend.